STRASSENJUNGS
Satire, Sex und Systemkritik
Deville:
Flursn?
Nils:
Ist ein Song auf dem Sex-Album. Inspiriert von Ernst Jandls Lautgedichten,
eine Parodie auf den Hessen-Slang, heisst: wieviel Uhr ist es denn.
Deville:
Nils Selzer ist erklärter Stiff Records Fan. Das klingt verdammt nach
Vinyl. Wie groß ist Nils Selzers Vinyl Sammlung und was sind die
Highlights?
Nils:
Ich bin gar kein Sammler-Typ und Vinyl muss nicht sein.
Deville:
Die Strassenjungs haben in der Vergangenheit einen Song mit Franz Beckenbauer
produziert. Wie war die Zusammenarbeit? Wie passen Franz Beckenbauer und
Nils Selzer in einen Raum, da treffen ja eigentlich von den Ansichten her
zwei Gegensätze aufeinander.
Nils:
Das stimmt. War aber kein Problem. Unser Song/Video geht gegen Gewalt in
Fussball-Stadien (und überhaupt). Dem DFB (Deutscher Fussball Bund)
gefiel der Song und sie stellten uns ihr Kampagne-Video (mit Beckenbauer
u.a.) zur Verfügung. Franz gegen Gewalt find ich ok, sonst nicht.
Deville:
Heute sind viele junge Bands nicht gerade das, was man als hardworker bezeichnen
kann. Das heißt, viele junge Bands gehen mit einer musikalischen
Laufbahn wie folgt um: Wir versuchen das jetzt mal wenn es schnell klappt
dann werden wir einen Majordeal haben, wenn es nicht in diesem Sommer klappt
dann gehen wir studieren und werden Architekten, Rechtsanwalt oder Wirtschaftsmanager.
Wie war das bei Nils Selzer, oder wie war es generell in den frühen
80ìgern?
Nils:
Meinst Du solche Laufbahn-Pläne sind echt weit verbreitet ? Na, ja,
wenn man sieht, dass man bloss in einem BigBrother-Container sein muss
um in die Musik-Charts zu kommen, scheint Arbeit ja unnötig zu sein.
Bei mir lief es kurz gesagt so: mit 14 Gitarre gelernt, ab 17 in Bands
gespielt und angefangen Songs zu schreiben. Nach Soziologie-Diplom arbeitslos,
kein Bock auf straighten Job, mit einem Song zu CBS, abgelehnt, dann zu
Bellaphon, Solo-Vertrag, ein Jahr getourt, dann zu Strassenjungs bis heute.
Deville:
Was fällt dir zur heutigen Musikszene, bzw. zum Musikbusiness ein?
Nils:
Container-Karrieren (siehe oben). Das 1. Markt-Gebot: du sollst der Masse
immerfort geben was sie ist und isst: Scheisse. Aber auch positiv: durch's
Web direkt zum Fan.
Deville:
Die Strassenjungs waren ja mit THE CLASH auf Tour, KULT! Hattet ihr persönlichen
Kontakt zur Band und wie war die Tour?
Nils:
Wir haben sie backstage nur kurz getroffen, angenehme Typen. Die Tour war
hart und geil. Viele Randale-Arschlöcher im Publikum und heisse Dauerlutscher-Events.
; )
Deville:
War es den manchmal frustrierend "nur" eine deutschsprachige Band zu sein.
Gerade ihr die Strassenjungs, wart ja mit diversen internationalen Acts
auf Tournee, war da nie der Gedanke "Scheiße ich möchte auch
nach London, Paris Tokio und Los Angels, raus in die Welt und den Rock`n
Roll verbreiten und alle Parties mitnehmen?
Nils:
Bei mir nicht. Zum Verbreiten muss man nicht reisen. Es gibt CDs und das
Web, das schont auch Ressourcen. Für Parties muss ich auch nicht nach
Tokio und Touren ist oft 22 Stunden Autobahn und Langeweile für 2
Stunden fun. Ich hab's lieber umgekehrt.
Deville:
Es gibt Künstler, die darf man auf ihre ersten Alben nicht mehr ansprechen,
steht Nils Selzer noch auf die Anfange von den Strassenjungs?
Nils:
Ja. Ausser einigen Songs auf 'Dauerlutscher' (nicht von mir). Die finde
ich zu Klischee und prol-dumm. Genau das war aber wohl wichtig für
den grossen Erfolg des Albums.
Deville:
Was ist Dein Lieblingssong aus dem eigenen Repertoire und warum?
Nils:
Hängt von der Stimmung ab. Oft ist es 'Frische in die Hose', wegen
der geilen Brat-Gitarren und der Text-Komik. Den und andere gibt's übrigens
kostenlos als mp3-download auf unserer website www.strassenjungs.de.
Deville:
Mit was verdient Nils Selzer heute seine Brötchen?
Nils:
Einige weiter mit CD-Verkäufen. Danke an alte und neue Fans! Unsere
aktuelle CD 'Jubeljahr & Bomben-Stimmung' (2002) läuft gut, die
anderen 12 Alben und die Live-Video-CD auch. Und ich mach' noch Software-
und Multimedia-Entwicklung.
Deville:.
Die Strassenjungs hatten verdammt gute Songs, aber nie einen Megahit wie
"99 Luftballons", "Dadada" oder "Hurra, Hurra die Schule brennt". Woher
kommt deiner Meinung nach der Kultstatus der Strassenjungs?
Nils:
Megahits kannst du eigentlich nur bei Industrie-Labels kriegen. Wir konnten
schon deshalb keinen haben, weil wir vom öffentlichen Monopol-Radio
nicht gespielt wurden und seit 1979 wie alle independent Bands ohne Promotion-Geld-Massen
wenig in die Massenmedien kamen. Und unsere Verkäufe wurden ja garnicht
für die 'offizielle' Industrie-Charts gezählt. Oder es war einfach
kein Song dabei, der dem Massen-Bewusstsein genug entspricht. Trotzdem
sind sehr viele Leute auf unsere Songs total abgefahren. Vielleicht ist
es die spezielle Art und Aussage der Texte, die Zeitgeist-Themen, die Kombination
von Sex, Satire und Systemkritik. Vielleicht haben die Leute auch die 'Echtheit'
gespürt und gemocht. Die Übereinstimmung von Lebens-Form und
Inhalt. Dass wir unsere 'Message' System-Unabhängigkeit auch lebten,
im Gegensatz zu z.B. Ärzte/Hosen, die Jahre später unsere Themen
aufgriffen, sich aber in den geldgefüllten Schoss der Industrie legten.
Ist
es nicht wenig authentisch, wenn man Systemkritik bringt, sich aber selbst
den System-Zwängen unterwirft? Na ja, verstehen kann ich's schon.
Es ist einfacher und erfolgversprechender. Aber: "Das Sein bestimmt das
Bewusstsein" sagt Marx. Nicht der von den 'Marx Brothers'. Die finde ich
aber auch sehr gut.
Deville:.
Welches Livekonzert einer anderen Band hat dich am meisten beeindruckt?
Nils:
The Who in London, Greatful Dead in München und Zappa in Frankfurt.
Deville:.
Wie kam die CBS (die damalige Sony) mit Systemkritikern und einer Band
mit sehr provokanten Texten, wie ihr sie geschrieben habt zurecht?
Nils:
Es geht im normalen Business doch nur um's verkaufen. Inhalt ist da egal.
Und 1977 waren wir eine der ersten Bands der neuen New Wave/Punk-Welle.
Aber mich hat die Abhängigkeit genervt, weshalb ich unser eigenes
Label Tritt Record gegründet hab.
Deville:
Wer war eigentlich der A&R der CBS der Euch gesignt hat und mit welchen
Songs?
Nils:
Weiss ich nicht mehr. War es Gebhard? Songs waren Birgit O. , übrigens
grade von 'Fettes Brot' gut gecovert, Mitternacht Babies und noch zwei.
Deville:
Wie lief eigentlich die Promo mit einem indizierten Album ab?
Nils:
Von CBS lief nicht viel Promo und die Indizierung kam erst 3 Jahre nach
Erscheinen.
Deville:
Gibt es neue deutsche Bands die Dich überraschen?
Nils:
Kaum, ausser Peter und die Maulwurfhügels und Puff Mutti und die Haschpappis.
Deville:
Was würdest du einer jungen deutschen Band empfehlen zu tun um im
Biz weiterzukommen?
Nils:
1. seid individuell , 2. sucht euch einen guten Manager (Verkäufer),
3. habt Ausdauer
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